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Pavlik

Pawlik wird 100

  • Павлик.+100 (Internationaler Englischer Titel)
Dokumentarfilm | 2012

Kurzinhalt

Pawel Kalinikowitsch Galitzki ist 100 Jahre alt. Er hat ein Jahrhundert der Geschichte seines großen Landes miterlebt und miterlitten. Er hat Tyrannen und Reformer kommen und gehen sehen. Den Aufbau und den Untergang des Kommunismus. Doch in einen entscheidenden Abschnitt seines Lebens musste er dem Tod ins Auge sehen. Dem Hunger. Der Hoffungslosigkeit. Es hätten seine schönsten Jahre werden können. Die Geburt seiner Tochter stand bevor. Er hatte Karriere gemacht, sich vom Schmied in der Leningrader Fabrik Nr.7 zum Journalisten weitergebildet, ein Fernstudium im Bergbau abgeschlossen, war Komsomol und hatte die Mitgliedschaft in der KP beantragt. Ganz im Sinne der neuen Gesellschaftsordnung betreute er die Wandzeitung in einer Fabrik der Leningrader Region. Die Partei hatte ihn dorthin abgeordnet. Er war Chefredakteur.
Bereits 1935 begannen die großen Säuberungen. Fragen stellte man nicht. Man sprach mit niemandem darüber. Zunächst traf es die Führungskader in den Fabriken, dann die hohen Parteifunktionäre. 1937, bei der dritten Verhaftungswelle, wurde die ganze Parteispitze in Kirowsk auf einen Schlag verhaftet. Als Sohn eines orthodoxen Priesters, der in den Wirren der Oktoberrevolution im Gefängnis umkam, war Pawel nach der Anordnung eines neuen Dekrets zum Staatsfeind geworden. Nach langen Wochen in Untersuchungshaft, nach unmenschlichen Verhören erging am 14. August 1937 das Urteil. Paragraph 58. Konterrevolutionäre Agitation.
‚Die Ungewissheit hatte ein Ende, wir alle waren froh, dass wir ein Urteil hatten. Wir hofften auf Stalins neue demokratische Verfassung. Wir wussten ja nicht, was uns tatsächlich erwartete.’ 15 Jahre Arbeitslager. Die eisige Hölle der Kolyma.

Im Lager war es der Kampf ums Überleben. Schlechte Kleidung. Ständiger Hunger. Unbarmherzige Kälte. Unmenschliche Arbeitsbedingungen. Keine Freundschaften. Man wurde bestohlen. Nahrungsmittel, Kleidung, die Briefe der Familie, alles wurden gestohlen. Die Not tötete jedes Mitgefühl, es war ein Kampf jeder gegen jeden. Denunziationen wurde mit Essenrationen belohnt. Dazu kamen die andauernden Schikanen des Wachpersonals. Zudem der Kampf, die oft tödlichen Auseinander -setzungen mit den Kriminellen, die über den Politischen standen. Die Brigaden bauten Bahnstrecken, schürften nach Gold, gruben nach Uran. Mit Schaufel und Schubkarre. Die Umerziehungslager wurden zu Todesslager für Konterrevolutionäre und Saboteure. ‚Am 8. Oktober 1938 wurde wir zur Goldmine gebracht. 1500 Menschen. Im Januar waren noch 450 übrig.’

‚Am Anfang gab es nicht einmal Decken. Keine Kissen. Keine Matratzen. Gar nichts. Erst 1939 haben wir Decken bekommen. Wir kamen nass von der Arbeit, schliefen in nassen Kleidern und deckten uns mit Nassem zu.’
Arbeitsverweigerung. Flucht. Rebellion gegen das Lagersystem war ein sicheres Todesurteil. Die einzige Chance im Lager zu überleben war mitzumachen. Gut zu arbeiten. Eine bessere Stelle zu ergattern. Besser Verpflegung. In 5 Jahren schaffte es Pawel bis zum Brigadeführer. 1943 wurde er von Mitgefangenen denunziert. Diebstahl von Gold lautete der Vorwurf. Man stellte ihn vor die Wahl ein Geständnis zu unterschreiben. ‚Mit der Aussicht auf weitere 10 Jahre Haft, anstelle von 20, wenn du nicht unterschreibst. Was machst du.’ Pawel unterschrieb. ‚Mit 15 Jahren hast du noch Hoffnung. Mit 25 Jahren ist dein Leben im Eimer.’

‚Von was sollte ich träumen? Von der Möglichkeit normal zu leben. Ich habe geträumt ich war bei meiner Familie und würde irgendwo arbeiten. Es war mir egal ob in Leningrad oder sonst wo. Ich kann überall arbeiten. Hauptsache die Familie ist bei mir. Frau und Kind. Davon habe ich geträumt.’
Und dieser Traum und der Wunsch sein Kind endlich sehen zu können halfen ihm am Leben zu bleiben. ‚Ich kam in Haft und wusste nicht einmal ob es ein Junge oder ein Mädchen war.’ Erst 15 Jahre später, nach seiner Begnadigung und Rückkehr aus der Zone, konnte er seine Tochter in die Arme nehmen.

Pawel Kalinikowitsch lebt heute allein in St. Petersburg. In einer kleinen Wohnung in einer Trabantensiedlung am Rande der Stadt. Seine geliebte Frau, seine geliebte Tochter sind vor ihm gestorben. Nur wenige Freunde sind ihm geblieben. Wie Valentin (84), der mit seiner Mutter in der Verbannung lebte und ähnliche Erfahrungen in Stalins Sowjetunion gemacht hat, als er seinen 1937 verhafteten Vater suchte.
1993 hat Pawel ein Buch über seine Erfahrungen in Kolyma geschrieben. , Dies darf man nie vergessen’ ist der Titel und mit über achtzig hat er sich sogar das Arbeiten mit dem Computer beigebracht, um seine Geschichte auch im Internet veröffentlichen zu können. Es gibt fast keine Dokumentarfilme über das Schicksal der Zwangsarbeiter und politischen Gefangenen. Nur wenige Bücher. Solschenizyn, Schalamov wurden Jahrzehnte später im Ausland veröffentlicht. Und bald wird es auch keine Zeitzeugen mehr geben. Noch immer gibt keine offizielle, umfassende Aufarbeitung. ‚Keine Sühne’, wie Pawel es nennt. Die Schätzung sprechen von damals bis zu 20 Millionen Menschen, die in Stalins Lagern und Strafkolonien gefangen gehalten wurden. Von 1918 bis 1991 rechnet man mit 39 Millionen Toten in sowjetischen Lagern. (Heinsohn) In Perm gibt es die einzige Gedenkstätte auf dem gesamten Territorium der ehemaligen UdSSR. Immer wieder gibt es Anfeindungen gegenüber den Menschen, die offen darüber sprechen. Es öffentlich machen. Bedrohungen und Beleidigungen. Besonders im Internet, beschwert sich Pawel, werde er beschimpft.

Pawel war niemals Dissident, er wollte etwas im Leben erreichen, hatte sich so gut es ging angepasst, und auch nach seiner Entlassung wollte er ‚einfach nur’ arbeiteten um sich und seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. Erst im hohen Alter hat er angefangen sich mit seiner eigenen Geschichte zu beschäftigen. Und daraus ergab sich sein heute wichtigstes Ziel – er will, dass man sich erinnert. Deshalb hat er seine Erlebnisse aufgeschrieben. Gegen das Vergessen. Fast trotzig fordert er Gerechtigkeit für die, die abgesessen haben. Für nichts und wieder nichts. Er fordert mehr Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus und eine offene Aufarbeitung des Stalinismus. Nicht mehr und nicht weniger.

Pawel ist ein wahrhaftiger Erzähler. Lakonisch. Hart. Ohne klagenden Unterton, fast sachlich, spricht er von den unglaublichen, menschenverachtenden Zuständen im Lager. Und gerade dies macht seine Geschichte so eindrucksvoll.

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Production KINOBRIGADA
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