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©Steph Ketelhut
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Dokumentarfilm | 2021 | 3sat | Doku | Deutschland

Projektdaten

Lauflänge38 Min.
BildpositivmaterialHD

Kurzinhalt

Deutschland 2021, kurz vor der Bundestagswahl: Es wird leidenschaftlich über Identitäten, strukturellen Rassismus, Queerness, Feminismus und eine sogenannte Cancel Culture gestritten. In emotional geführten Debatten lösen Äußerungen nicht selten Wellen der Empörung aus. Kritiker:innen befürchten eine Ausweitung von Tabuzonen und sehen die freie Debattenkultur in Gefahr. Menschen mit Migrationshintergrund, Schwarze Menschen, Frauen und queere Menschen kritisieren dagegen - oft mit Blick auf die eigene Lebensrealität - mangelnde Teilhabe, Ausgrenzung, Diskriminierungen und Bedrohungen. Andere monieren, dass in der Debatte verwendete Begriffe wie "alter weißer Mann" oder "weiße Privilegien" ihrerseits ausgrenzend und diskriminierend wirken.

Ausgehend von bereits bekannten Fragen (Was darf eigentlich noch gesagt werden? Oder von wem? Was ist eigentlich Identitätspolitik und wohin führt sie?), entwickelt diese Dokumentation eine neue: Erleben wir gerade einen Wandel unserer Identität? Befinden wir uns damit auf der Suche nach einem neuen kulturellen Selbstverständnis? Misst sich die Stärke einer Gesellschaft daran, wie viel Meinungsverschiedenheit sie aushält? Brauchen wir neue Spielregeln für den Diskurs? Haben wir es in Wirklichkeit mit einem Generationenkonflikt zu tun? Und: Was sagt uns das alles über die gegenwärtige Bundesrepublik - und ihre Zukunft?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, begibt sich der Verleger und Journalist Jakob Augstein auf eine filmessayistische Reise durch die Republik. Er trifft Menschen, die in der Debatte zentrale Rollen einnehmen und dieses Land mitgestalten. Warum wird die Identitätsdebatte gerade jetzt so leidenschaftlich geführt?

Jakob Augstein trifft den Münchner Journalisten Malcolm Ohanwe, der sich in seinem Podcast “Kanackische Welle” und seiner journalistischen Arbeit mit Fragen rund um das Thema Identität im Einwanderungsland Deutschland befasst. Ohanwe betont, alles müsse sagbar bleiben, "so lange es die Würde des anderen respektiert“. Große Aufmerksamkeit erlangen Ohanwes Beiträge auf dem Kurznachrichtendienst Twitter und der Social-Media-Plattform Instagram, auf denen der Journalist regelmäßig Debatten zu Alltagsrassismus anstößt. Unter dem Hashtag #KritischesWeißsein forderte Ohanwe weiße Menschen dazu auf, ihr Weißsein und die damit verbundenen Privilegien kritisch zu hinterfragen. In einigen Medien wurden Ohanwes Positionen daraufhin als Identitätspolitik kritisiert.

Beim Besuch von Gesine Schwan in ihrem Haus im Südwesten Berlins trifft Jakob Augstein auf eine entspannte Frau - nach Wochen des aufgeregten Debattierens. Die SPD-Politikerin und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission hatte sich im Frühjahr 2021 für ihren Parteigenossen Wolfgang Thierse eingesetzt und ihn auch verteidigt. Er musste für seine Forderung nach mehr Diskurs viel Kritik einstecken. Thierse sagte, eine pluralistische Gesellschaft könne nur funktionieren, wenn die Unterschiedlichkeiten zu Wort kämen. Jene "Radikalisierungen des Diskurses“ beschäftigen auch Gesine Schwan. Sie hält den Konflikt für "beendet“, die Debatte allerdings dauere an - nicht nur für die SPD, sondern für die gesamte Gesellschaft.

In Kiel spricht Jakob Augstein mit der Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein Aminata Touré über die Realität von Mehrfach-Identitäten. An verschiedenen Stellen zitiert Touré die Dichterin May Ayim: “Ich werde trotzdem afrikanisch sein, auch wenn ihr mich gerne deutsch haben wollt und werde trotzdem deutsch sein, auch wenn euch meine Schwärze nicht passt” und skizziert damit die Herausforderungen an eine deutsche Gesellschaft, die sich lange nicht als Einwanderungsgesellschaft begriffen hat. Die Tochter malischer Geflüchteter ermutigt junge und diverse Menschen, in die Politik zu gehen und die Gesellschaft im Sinne der Pluralität zu verändern.

Jakob Augstein begegnet auf seiner Reise dem renommierten Politologen Wolfgang Merkel, der eine zunehmende Moralisierung der politischen Auseinandersetzung beobachtet: "Weil es nicht mehr wie bei Verteilungskonflikten um ein Mehr oder Weniger, nicht um Kompromisse geht, sondern um wahr und unwahr, richtig oder falsch, um moralisch und unmoralisch. Da geht es nicht mehr primär um die Verteilung von Lebenschancen, von Einkommen und Gütern, sondern um Moralisierung und Abwertung. Das ist ein Riesenproblem für unsere Demokratie.“ Was sagt das über den Zustand unseres Landes aus? Was muss sich ändern? Wie können wir weiter machen?

In Berlin trifft Jakob Augstein die Autorin und Unternehmerin Diana Kinnert. 1991 als Tochter einer philippinischen Mutter und eines polnischen Vaters geboren, ist sie seit 2008 Mitglied der CDU. Kinnert - CDU-Mitglied, Katholikin und selbst queer - vereinbart scheinbar spielerisch eine Reihe von vermeintlich sich ausschließenden Biografien. Über sich selbst sagt sie: "Ich bin mehr als ein Sammelsurium von Minderheitenattributen“. Den Ruf eines jungen, migrantischen It-Girls der CDU lehnt sie ab. Die Lust am freien Wettstreit der Ideen und am argumentativen Austragen von Differenzen - egal, ob es um Reich und Arm, Gender, Sprache oder Moral geht - verspürt sie umso mehr. Ihre Vision für Deutschland und Europa ist durch und durch divers.

In dem Film spüren Jakob Augstein und Paul Wiederhold (Regie) der Frage nach, ob die zum Teil unversöhnlich geführte Debatte droht, zu einer fragmentierten Gesellschaft zu führen, in der sich lautstark formulierte Partikularinteressen durchsetzen oder ob sich die deutsche Gesellschaft auf dem Weg zu einer neuen Identität befindet.

TV-Ausstrahlung

ArtLandSenderDatum / ZeitAnmerkung
ErstausstrahlungDeutschland3satSamstag, 18.09.2021 um 19:20 Uhr