„Er war der Größte“, sagen sie noch heute über ihn. Etliche von denen, die
alt genug wurden oder sich ausreichend informiert glauben, beschreiben
Ludolf von Alvensleben, genannt „Bubi“, als stattlich-schlanken Zwei-Meter-
Hünen mit dem Schick des geborenen Uniformträgers: ein sympathischer
„Draufgänger“, gewandter Windhund, „verwandtschaftlich“ humorvoll,
„gerissen“, gleichwohl bewegt von den „adeligen Tugenden“ des uralten
Geschlechts, dem er entstammt.
Wie kaltblütig er tatsächlich war, hat die Geschichtswissenschaft längst
zweifelsfrei ermittelt: Als enger Gefolgsmann Heinrich Himmlers setzte der
Massenmörder mit dem freundlichen Spitznamen die Vernichtung Zigtausender
von Polen und Russen ins Werk.
Dennoch erfuhr ein Nachkomme „Bubis“ aus der Enkel-Generation vom
braunen Fleck auf der strahlend weißen Weste seiner Altadeligkeit: Hubertus
von Alvensleben begann zu recherchieren.Weil er kein Polnisch spricht,
suchte er per Annonce nach einem Lehrer und fand ihn im Regisseur Stanislaw
Mucha.Der, 1970 in Polen geboren, ließ sich darauf ein, um zu erfahren,
warum ein Deutscher seines Alters am Ende des 20. Jahrhunderts ausgerechnet
jene verzwickte Fremdsprache lernen wollte. Als der Unterricht
fruchtlos blieb, stellte sich Mucha als Dolmetscher auf gemeinsamen Reisen
zur Verfügung; sein Entgelt: die filmische Dokumentation der Spurensuche
in Deutschland, Polen, Lateinamerika.Dem „Familientag“ – einer Art Sippenparlament
– wollte Hubertus das Filmergebnis vorführen. Doch niemand
mochte es sehen.
„Bubi“, der strahlende Hüne, der beinah ein Held war: Er wurde zum Identitätsproblem
einer Familie, die durch Jahrhunderte hindurch gewohnt war,
sich als ehrenhafte Krieger und rechtschaffene Gutsbesitzer zu definieren . . .
Michael Thumser