INTERVIEW IN DER GIEßENER TAGESZEITUNG
02.01.2020
Wie Stefan Woelk aus Heuchelheim zum Film kam
vonStefan Schaal
Wenn in russischen Kriegsfilmen ein deutscher Soldat auftaucht, steckt nicht selten Stefan Woelk in der Uniform. Der Schauspieler aus Heuchelheim bewirbt sich weltweit per Facebook für Filme.
Die Leinwand ist schwarz. Dann dringt ein lautes Rattern durch den Kinosaal. Im nächsten Augenblick leuchtet die Leinwand gleißend hell, der Film "The Pilot" beginnt. In Großaufnahme ist das Gesicht Stefan Woelks zu sehen. "Bald erreichen wir Moskau", sagt er, während er in einem Panzer sitzend durch die russische Tundra fährt. "Weihnachten feiern wir in Berlin", ruft er in ein Funkgerät. Woelk ist Schauspieler. In russischen Kriegsfilmen hat der Heuchelheimer in den vergangenen Jahren seine ersten Kinorollen ergattert.
"Es stimmt schon", sagt Woelk. "Aus russischer Sicht spiele ich häufig den Bösen." Der 41-Jährige sitzt in einem Café in Gießen und zerteilt ein Schokocroissant in kleine Stücke. Woelk schmunzelt. Er sei dankbar für die Rollen und seinen Einstieg in die Filmbranche, auch wenn er nun mehrere Male einen Nazi gespielt hat. "Das ist eine Nische für mich."
Sechs Jahre ist es her, da hat er in Karelien nahe der russisch-finnischen Grenze, 2000 Kilometer entfernt der Heimat, seinen ersten Kinostreifen gedreht. "Im Morgengrauen ist es noch still", die actionreiche Neuverfilmung eines Klassikers der 70er Jahre. Der Heuchelheimer spielt einen deutschen Fallschirmspringer, der eine russische Einheit von Frauen bekämpft. Woelk rennt durch Wälder, flucht und schreit, in einer Szene prasselt Wasser in Strömen aus einer Regenmaschine herab. Er hat auch schon bei minus 26 Grad in Sibirien gedreht. "Da gefriert dir alles." Dass die Filme, in denen er den Nazi spielt, darauf abzielen, die russische Patriotenseele zu stärken, ist ihm durchaus bewusst. Doch wie kommt der Heuchelheimer an diese Rollen?
"Irgendwie muss ich für die Russen doch recht deutsch aussehen", sagt er. Seine Schauspielkarriere organisiert er unter anderem per Facebook. "Es gibt dort etliche Gruppen für Schauspieler und Models", dort finde er zahlreiche internationale Angebote und Ausschreibungen für Filmrollen. "Weil ich seit 2006 auch semiprofessionell als Model arbeite, hatte ich von Anfang an gute Bilder. Das hat mir sehr geholfen." Und so habe er sich vor sechs Jahren erfolgreich für einen russischen Film des Regisseurs Renat Davletyarov beworben. Die Rolle als deutscher Soldat habe er bekommen, nachdem ein anderer Schauspieler ausgefallen war. "Ich hatte mega Glück." Woelk war an seinem ersten Drehtag äußerst nervös, er spricht zudem kein Russisch, mit Kollegen unterhielt er sich auf Englisch und mit Übersetzern. "Ich habe so getan, als hätte ich große Ahnung. Als Schauspieler musst du dich eben verkaufen."
Woelk hat seine Kindheit in Biebertal verbracht. Die Mutter war Krankenschwester, der Vater Vertriebler. Nach dem Abi an der Herderschule in Gießen Ende der 90er Jahre studierte er Facility Management an der Technischen Hochschule. Doch früh wusste er, dass er niemals Gebäude verwalten würde. Er jobbte, fuhr Pizza aus, arbeitete im Tierheim und kellnerte in Kneipen. Irgendwann stieß er im Internet auf Videos von brachial wirkenden Kämpfen in Käfigen. Er entdeckte die Sportart Mixed Martial Arts (MMA). Gleich beim ersten Training in Wetzlar brach er sich zwei Rippen. Doch er trainierte weiter, träumte von einer MMA-Karriere. Sieben Kämpfe bestritt er, nach dem letzten musste er k.o. aus dem Ring getragen werden. Der Traum war bald vorbei. "Aber ich habe Disziplin gelernt", sagt er. "Und was es bedeutet, Schmerzen zu ertragen."
In sozialen Netzwerken findet er damals kleine Jobs als Model, posiert für Fotografen. Und er entdeckt die Schauspielerei für sich. In Frankfurt absolviert er in Teilzeit eine drei Jahre lange Schauspielausbildung an einer privaten Akademie. Dass er damals mit Ende 30 ein Quereinsteiger ist, sieht Woelk als einen Vorteil. In der Branche werde viel geblendet und viel gelogen. Man müsse mit leeren Versprechungen leben. Dank seiner Lebenserfahrung könne er damit aber gut umgehen. Auf der Suche nach der großen Filmrolle bewirbt sich Woelk in der ganzen Welt. Er arbeitet mit Agenturen in Portugal und Spanien sowie in London, Istanbul, Moskau und Kapstadt zusammen. Regelmäßig nimmt er an sogenannten E-Castings teil: Online spricht er dann per Videostream für Rollen vor.
Film mit Lars Eidinger
Er hat im österreichischen Film "Lehrling der Zeit" einen Bäckermeister gespielt, auch in der Miniserie "Krieg der Träume" auf arte war er zu sehen. Mit kleineren Sprechrollen in internationalen Filmen verdiene man durchaus Geld. Davon leben könne er noch nicht. Seine Brötchen verdient Woelk mit Werbe- und Imagefilmen. Kürzlich stand er für ein Schulungsvideo einer Apotheken-App vor der Kamera.
Im kommenden Jahr ist Woelk im Kinofilm "Nahschuss" zu sehen - neben Lars Eidinger, der das letzte DDR-Hinrichtungsopfer, den Wirtschaftswissenschaftler Dr. Werner Teske, spielt. Es ist eine kleine Rolle. Der Heuchelheimer ist dennoch stolz, in einem deutschen Kinofilm mitzuspielen. "Das sieht in der Vita ganz gut aus." Er spielt diesmal keinen Nazi. Sondern einen Stasi-Beamten, der das Haus Teskes stürmt. "Mund halten, mitkommen" sagt Woelk im Film und führt Eidinger ab. "Wieder ein Böser", räumt Woelk ein. Dann fügt er hinzu: "Ich habe ja schon ein markantes Gesicht, wenn ich mich zurecht mache."
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